Das einzige Objektiv, das du brauchst? Mein Langzeittest des Hasselblad XCD 38V

Die meisten Fotografen haben eine klare Vorstellung davon, wie ihr Objektiv-Setup aussehen sollte: Ein Ultraweitwinkel für große Szenen, ein Standard-Zoom für Alltagsaufnahmen, ein Tele für Details—und wenn es das Budget erlaubt, vielleicht noch eine lichtstarke Festbrennweite für besondere Looks. Das klingt nach maximaler Flexibilität. Aber was, wenn ich dir sage, dass genau dieser Ansatz dich in deiner Fotografie einschränken kann? Dass du mit nur einem einzigen Objektiv vielleicht mehr kreative Freiheit und fotografisches Potenzial entdeckst, als mit einem ganzen Schrank voller Glas? Ein festes Setup zwingt dich, bewusster zu sehen, dein Bild besser zu komponieren und deine Motive gezielt auszuwählen. Es nimmt dir die Möglichkeit, vermeidlich “bequem” zwischen Brennweiten zu wechseln—und gibt dir stattdessen die Möglichkeit, deinen Blick zu schärfen und ein einzigartiges, konsistentes Bildgefühl zu entwickeln. Und genau da kommt das Hasselblad XCD 38V ins Spiel. Es ist kompakt, leicht, extrem scharf, und mit seinem 30mm-Kleinbild-Äquivalent trifft es eine seltene Balance zwischen Weitwinkel und Normalbrennweite. Aber reicht das, um einen gesamten Objektiv Fuhrpark zu ersetzen? Ist es wirklich das eine Objektiv, mit dem du fast alles fotografieren kannst—von Menschen über Landschaften bis hin zu Fine-Art-Serien? Genau das möchte ich in diesem Langzeittest herausfinden.

Hasselblad XCD 38V and XCD 55V and XCD 90V

Hasselblad XCD 38V und XCD 55V und XCD 90V in der Berghütte

Das V-System im Überblick

Bevor wir uns das XCD 38V im Detail anschauen, lohnt sich ein Blick auf das Hasselblad V-System. Mit dieser Serie wollte Hasselblad eine perfekte Balance zwischen Leistung, Portabilität und Flexibilität schaffen. Während bei den regulären XCD-Objektive jedes Objektiv für sich auf maximale optische Qualität optimiert sind, bringt die V-Serie eine neue Herangehensweise mit sich: Kontinuität. Das bedeutet vereinheitlichte kompakte Bauweise, schnellere Autofokus-Motoren und eine durchgängige Lichtstärke von f/2.5 bei allen Modellen.

Die XCD-V-Serie umfasst aktuell vier Objektive: das XCD 25V als Ultraweitwinkel, das XCD 38V als vielseitige Standardbrennweite, das XCD 55V als klassisches Normalobjektiv und das XCD 90V als Tele-Option. Alle teilen sich den gleichen Objektivdurchmesser, Fokus- und Kontrollring sowie ein 72mm-Filtergewinde – ein Detail, das den Wechsel zwischen ihnen besonders praktisch macht. Das einzige, was mir am Objektiv nicht ganz zusagt, ist der Control Ring, den man mit Blende, ISO oder Belichtungskorrektur belegen kann. In der Praxis verstellt er sich für meinen Geschmack jedoch zu leicht, weshalb ich ihn nur selten nutze.

Mein ständiger Begleiter - das XCD 38V

Was macht das XCD 38V einzigartig?

Trotz seiner Zugehörigkeit zur V-Serie hat das 38V einige Besonderheiten, die es von seinen Geschwistern unterscheiden. Es ist mit nur 350g das leichteste Objektiv der gesamten XCD-Serie. Im direkten Vergleich zur Portable-Serie (P-Serie), insbesondere zum XCD 45P, zeigt sich, dass das 38V trotz seiner kompakten Bauweise deutlich mehr Leistung bietet. Der schnellere Autofokus, die größere Blendenöffnung von f/2.5 (statt f/4.0 beim 45P) und die insgesamt hochwertigere Konstruktion sorgen für ein spürbar professionelleres Handling. Das Gehäuse besteht aus massivem Metall, der Fokusring läuft präzise und die Gravuren für Entfernungsskala und Schärfentiefe-Anzeige erinnern an klassische Objektive aus dem vergangenen Jahrhundert.

Der Autofokus des XCD 38V ist spürbar schneller und leiser als bei den älteren XCD-Generationen. Er arbeitet präzise und zuverlässig, solange das Motiv sich nicht zu schnell bewegt. Trotzdem greife ich bei diesem Objektiv viel lieber zum manuellen Fokus, da es sich so unglaublich intuitiv bedienen lässt. Dank des Push-Pull-Mechanismus kann ich mit einem Handgriff vom Autofokus in den manuellen Modus wechseln. Sobald ich den Fokusring nach vorn schiebe, aktiviert die X2D automatisch die 100% Fokuslupe – eine Funktion, die mich an klassische Rangefinder-Kameras erinnert. Dadurch kann ich den Fokus punktgenau setzen, selbst in dunklen Umgebungen.

Gerade bei Street Photography nutze ich die Technik des „Camping“: Ich finde eine interessante Szene mit schönem Licht und einer spannenden Umgebung, stelle den Fokus manuell ein und warte auf den perfekten Moment. So, wie man es auch mit einer Leica M tun würde.

Wenn es dann so weit ist, löst der extrem leise Leaf-Shutter fast unbemerkt aus – und das Ergebnis ist eine ultrahochauflösende Aufnahme mit 100 Megapixeln.

Das XCD 38V erzeugt unglaublich kontrastreiche, detailreiche Bilder, bei denen man sich buchstäblich in den Feinheiten verlieren kann – besonders bei Landschaftsaufnahmen. Ein optischer Kompromiss, den man bei der kompakten Bauweise eingehen musste, ist die deutlich sichtbare Vignettierung, die auch bei Blende 5.6 und 8 noch zu erkennen ist. Natürlich wäre es schöner, wenn ein Objektiv in dieser Preisklasse optisch vollkommen fehlerfrei wäre. Aber ehrlich gesagt füge ich ohnehin fast immer eine leichte Vignette in der Nachbearbeitung hinzu, um das Auge des Betrachters zu leiten. Und falls man die Vignette entfernen möchte, reicht ein einziger Klick in der Bildbearbeitung.

Ich arbeite selten mit voller Blendenöffnung, da eine zu geringe Tiefenschärfe oft zu viel Kontext aus dem Bild nimmt. Meine Bilder erzählen Geschichten – und dafür lasse ich mir gerne Zeit und nutze ein Stativ für eine überlegte Bildkomposition. Doch in der Nacht ist eine große Blendenöffnung Gold wert. Mit f/2.5 kann ich selbst unter purem Sternenlicht noch manuell fokussieren, da ich im Sucher noch genug erkenne, um präzise zu arbeiten. Die Kombination aus guter ISO-Performance der X2D, dem exzellenten IBIS-Bildstabilisator und der neuen Hasselblad Natural Noise Reduction in Phocus Mobile ermöglicht Bilder, die vor zehn Jahren mit keiner Kamera dieser Welt möglich gewesen wären.

Insgesamt ist das XCD 38V ein Objektiv, das auf Vielseitigkeit, Kompaktheit und höchste Bildqualität ausgelegt ist – und genau deshalb ist es das Objektiv, das ich an meiner X2D am meisten verwende.

Portraitaufnahmen mit Kontext mit dem Hasselblad XCD 38V

Die perfekte Brennweite – Zwischen Weitwinkel und Normalobjektiv

Mit einer auf Vollformat umgerechneten Brennweite von 30mm schlägt das XCD 38V eine seltene Brücke zwischen den klassischen Reportage-Brennweiten von 28mm und 35mm. Für mich fühlt sich 35mm oft zu eng an, während 28mm bereits einen deutlich weitwinkligeren Look erzeugt. Das XCD 38V liegt genau dazwischen – eine Balance, die sich in vielen Genres bewährt.

Ob Environmental Portraits, weite Landschaften oder intime Stillleben, dieses Objektiv bringt jedes Motiv in einen natürlichen Kontext. Und dank der 100 Megapixel der Hasselblad X2D kann ich bei Bedarf tief in das Bild hineinzoomen, ohne Qualität zu verlieren. Leica und Fujifilm haben digitale Zoom-Funktionen direkt in ihre Kameras integriert – ein Feature, das der X2D als Software-Update ebenfalls gut zu Gesicht stehen würde. Wenn ich einen breiteren Bildausschnitt benötige, nutze ich stattdessen Panorama-Techniken. Dadurch entstehen hochauflösende Landschaftsaufnahmen mit mehreren hundert Megapixeln, frei von Weitwinkelverzerrungen, aber mit einer angenehmen Kompression des Motivs. Eine weitere spannende Möglichkeit ist das Arbeiten mit Diptychen oder Triptychen – einzelne, eigenständige Bilder nebeneinander zu positionieren, um eine zusammenhängende Geschichte zu erzählen.

Das XCD 38V besitzt für mich genau die richtige Mischung aus kontextschaffender Weite und komprimierter Intimität. Ob Mensch, Tier, Gebäude oder Landschaft – dieses Objektiv lässt jedes Motiv in seiner Umgebung atmen, ohne dabei den Fokus auf das Wesentliche zu verlieren. Es ist diese erzählerische Kraft, die mich immer wieder zum 38V greifen lässt. Jedes Bild wird mehr als nur ein isoliertes Motiv – es erzählt eine Geschichte über seine Umgebung und seine Verbindung zur Welt. Doch was ist mit der Offenblende? In meinen Arbeiten nutze ich selten die größte Blendenöffnung von f/2.5, da eine zu geringe Tiefenschärfe oft den Kontext aus einem Bild nimmt. Ich liebe es, die Umwelt mit ins Bild einzubeziehen und nehme mir dafür Zeit – und oft ein Stativ, um bewusst zu komponieren. Doch in der Nachtfotografie spielt die Blende eine entscheidende Rolle. Selbst unter purem Sternenlicht kann ich dank f/2.5 noch manuell fokussieren, da ich im elektronischen Sucher der X2D genügend Details erkenne. Natürlich lässt sich mit den aktuellen ISO-Fähigkeiten von Hasselblad und dem beeindruckenden Bildstabilisator der X2D auch in tiefster Dunkelheit noch problemlos aus der Hand fotografieren. Mit der neuen Hasselblad Natural Noise Reduction in der Phocus Mobile App entstehen Nachtaufnahmen, die vor zehn Jahren mit keiner Kamera der Welt denkbar gewesen wären.

Wenn ich zur Hasselblad X2D greife, dann mit einer klaren Vorstellung davon, welche Art von Bildern ich aufnehmen will. Ich weiß, dass ich keine ultraweiten Architekturaufnahmen mit perfekter Orthogonalität realisieren kann. Ich weiß, dass der Autofokus für Street Photography nicht so schnell reagiert wie bei anderen Systemen. Aber genau das ist der Punkt. Ich nutze dieses System, weil es mir ermöglicht, die Welt in ihrer bestmöglichen Qualität einzufangen – mit künstlerischer Intention und ohne Kompromisse. Jeder 200MB-Raw-Shot, den ich mit dieser Kamera mache, ist eine bewusste Entscheidung. Ich will vollkommen im Moment sein, meine Umgebung ohne Ablenkung erleben und mich darauf konzentrieren, eine einzigartige Geschichte in einem einzigen Bild einzufangen. Das XCD 38V hilft mir genau dabei. Es sieht die Welt, wie ich sie sehe – klar, fokussiert und mit der richtigen Balance zwischen Umgebung und Motiv. Stell dir die Kombination aus Hasselblad X2D oder 907X mit dem 38V vor wie eine Fujifilm X100 oder Leica Q auf Steroiden – aber in echter Mittelformat-Qualität.

"Quiet Countryside Glow" aus der Serie Midnight Refuel

“Midnight Refuel” – Eine gesamte Fine-Art-Serie mit nur einem Objektiv

Vergangenes Jahr reiste ich durch Südspanien, um mögliche Locations für meine Foto-Workshops zu finden. Falls du mir einmal live über die Schulter schauen möchtest und deine Fragen zu Fotografie, Kamera-Equipment und Business persönlich mit mir besprechen willst, findest du auf meiner Website exklusive Fotoreisen mit maximal 4 Teilnehmern in Andalusien.

Nach einem langen Tag im Nationalpark El Torcal machte ich mich spät am Abend auf den Rückweg. Plötzlich sah ich aus dem Augenwinkel eine einsam leuchtende Tankstelle in der Dunkelheit vorbeiziehen. Sofort hatte ich ein Bild im Kopf – inspiriert von einem Motiv, das Jason Kummerfeldt (Grainydays) ein Jahr zuvor ganz in der Nähe aufgenommen hatte. Ich spürte dieses unruhige Gefühl in der Magengegend – das Gefühl, eine fotografische Gelegenheit zu verpassen. Mein Puls stieg, und ich wusste: Ich musste umdrehen. Denn nichts verfolgt mich mehr als die Vorstellung, an einem perfekten Motiv einfach vorbeizufahren.

Die Tankstelle leuchtete wie eine Fata Morgana in der tiefschwarzen Nacht Andalusiens. Ich war mir nicht sicher, ob sich hier wirklich ein starkes Foto verbarg, also umrundete ich die Szene, testete verschiedene Perspektiven und suchte nach einer perfekten Anordnung aller Elemente. Mitten auf einer verlassenen Landstraße fand ich den idealen Blickwinkel. Zwei zurechtgestutzte grüne Bäume bildeten einen Kontrast zu den glatten roten Stelen, auf denen das Tankstellendach ruhte. Die vielen kleinen Details der Zapfsäulen und des Verkaufsraums wurden von schwarzer Leere umhüllt – eine Bühne aus Dunkelheit, die das Motiv noch stärker hervorhob. Und genau dort stand ich. Mitten in der Nacht, mitten auf der Straße, mit meiner Hasselblad X2D und dem XCD 38V. Allein mit diesem einen Objektiv. Mitten auf dem Asphalt, fokussiert auf diese künstliche Insel aus Licht, diesen Boxenstopp auf der Schnellstraße des Lebens. Noch zweimal hielt ich in dieser Nacht an, um weitere Tankstellen entlang der Mittelmeerküste zu fotografieren.

Am nächsten Tag tauchte ich in Kartenmaterial ein, suchte nach visuell interessanten Tankstellen, die mehr erzählten als nur ihre Funktion. Nacht für Nacht fuhr ich durch die Dunkelheit, auf der Suche nach Lichtern in der Leere, nach Orten, die Geschichten von Freiheit, Einsamkeit und vergangenen Reisen erzählten. Immer mit dem XCD 38V. Die Entscheidung, diese Serie nur mit einer einzigen Brennweite aufzunehmen, schuf eine visuelle Kohärenz, die in Fine-Art-Projekten und Fotowettbewerben essenziell ist. Sie zeigt, dass ich bewusst arbeite, dass ich mein Equipment als kreatives Werkzeug verstehe, um eine bestimmte Atmosphäre zu erzeugen. Denn eine Tankstelle an sich ist kein einfaches Motiv. Doch in der richtigen Inszenierung wird sie mehr als nur ein funktionales Gebäude. Sie wird ein Sinnbild für das Unterwegssein, für nächtliche Reisen durch unbekannte Gebiete, für die Momente zwischen Start und Ziel.

Wenn du die komplette Serie sehen möchtest, findest du sie hier bei meinen Projekten:

Midnight Refuel – Die komplette Galerie


Fazit – Ist das XCD 38V das einzige Objektiv, das du brauchst?

Was sagst du? Könnte das XCD 38V dein One and Only für das Hasselblad-System werden, oder spricht dein fotografischer Stil eine andere Sprache? Ich selbst greife immer wieder auch zum XCD 90V, um noch mehr Ablenkung aus dem Bild zu nehmen und den Moment intensiver zu komprimieren. Aber trotzdem bleibt das 38V mein absolutes Lieblingsobjektiv für das X-System. Es vereint Größe, Gewicht, Lichtstärke, Autofokus und Bildqualität in einer Weise, die für mich perfekt ist. Und wenn du gerade überlegst, deine erste Hasselblad X2D oder 907X zu kaufen und dich fragst, mit welchem Objektiv du starten solltest – ich würde als Erstes ins XCD 38V investieren.

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Viel Spaß beim Fotografieren und bis zum nächsten Mal!

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